„Als stünde da eine Schaufensterpuppe"
Wo sehende Menschen in Zeiten von Corona Abstände einhalten oder Markierungen erkennen können, tun sich sehbehinderte oder blinde Menschen schwer.
Markierungen, Absperrbänder, Hinweisschilder, Einbahnstraßenregelungen - die Corona-Regeln und damit einhergehenden Einschränkungen bestimmen das Bild an vielen Orten. Auch sehende Menschen brauchen manchmal einen Augenblick, um sich zu orientieren. Für blinde und sehbehinderte Menschen werden diese Veränderungen im öffentlichen Raum zum ,,massiven Problem", wie Michael Mohr, 1. Vorsitzender vom Blinden- und Sehbehindertenverein Düren sagt.
„All diese Markierungen sind nichttaktil, das bedeutet, dass sie für blinde Menschen nichttastbar sind. Und oftmals sind sie auch nicht so gestaltet, dass sie für sehbehinderte Menschen erkennbar sind", erklärt er.
Hinzu komme, dass es schwierig sei, anderthalb Meter Abstand zu halten, wenn man nicht genau sehen kann, wo eine Person steht. „Es kommt in der letzten Zeit verstärkt vor, dass blinde und sehbehinderte Menschen sehr barsch angegangen werden°', weiß Mohr.
Das passiere selbst bei Blinden, die mit einem Führhund unterwegs sind und bei denen ein jeder ja sofort merken könne, dass die Person nichts sehen kann.
Man spüre, dass die Menschen in den vergangenen Wochen sehr viel angespannter seien als es beim ersten Lockdown im Frühjahr der Fall gewesen sei.
„Wir sind auf Informationen von anderen derzeit mehr denn je angewiesen. Wir brauchen sie. Aber sie können doch bitte höflich erfolgen", sagt Mohr. Es sei kein Problem, einen blinden Menschen höflich zu bitten, er möge doch noch einen Schritt nach hinten gehen, um den gewünschten Abstand einzuhalten. lm Gegenteil, es sei ja sogar im eigenen Interesse.
Leider sei es nicht möglich, Blindenhunden die neuen Regeln und Symbole binnen kurzer Zeit beizubringen.
Wie Mohr schildert, würden sich viele blinde und sehbehinderte Menschen wegen der deutlich komplizierteren Orientierung bei Alltagsaufgaben und aus Angst davor, anderen zu nahe zu kommen, sehr in die eigenen vier Wände zurückziehen und andere Menschen bitten, etwa das Einkaufen zu übernehmen. „Das sorgt natürlich für eine starke Isolation, und ich sehe gerade bei älteren Menschen auch die Gefahr der Vereinsamung", schildert Mohr.
Sein Verein würde sich daher bemühen, etwa bei Mitgliedern immer mal wieder anzurufen, damit persönliche Kontakte bestehen bleiben. Außerdem gebe es etwa lnformationsveranstaltungen per Telefonschaltung.
Müssen viel mehr anfassen
Ein weiterer Grund dafür, warum sich viele blinde und sehbehinderte Menschen derzeit zurückziehen würden sei das Anfassen. „ln Treppenhäusern, Aufzügen, Geschäften, an Ampeln - blinde Menschen müssen unterwegs viel mehr Dinge anfassen, können weniger mit dem Ellenbogen erledigen als sehende", erklärt Mohr.
Eine weitere Einschränkung stelle für Menschen, die nicht oder nicht gut sehen können, auch die Maske dar. „Bei der Orientierung in der Stadt läuft viel über Gerüche, das ist mit Maske natürlich eingeschränkt", erklärt Mohr.
Für gehörlose Menschen ist eben diese Maske ein ganz anderes und damit das größte Problem. „Für Gehörlose oder hörbehinderte Menschen schränken Masken die Kommunikation sehr ein", schildert Brigitte Rothkopf, die 1. Vorsitzende des Dürener Gehörlosenvereins. Für Gehörlose sei es ein Gefühl, als stehe gegenüber einer Schaufensterpuppe: Man kann nicht mehr auf das Mundbild und die Mimik der Person schauen. Beides ist sehr, sehr wichtig, denn darin die feine Art der Kommunikation besteht", erklärt sie.
Zum Beispiel würden Hörende aus jeder Stimme die Emotion des Sprechers hören, genau das können die Gehörlosen oder Hörbehinderten aber nicht. „Wir brauchen das Mundbild und die Mimik."
Negative Erfahrungen hat Brigitte Rothkopf aber bislang nicht gemacht. „lch sage ganz offen, dass ich gehörlos bin und weise auf meine Hörbehinderung hin. Bis jetzt akzeptieren die Leute es. Wichtig ist, dass man den Mut haben muss, auf seine Behinderung klar und deutlich hinzuweisen."
Aber die Masken sind nicht die einzigen Herausforderungen: Vielen lnformationsangeboten würden viele gehörlose Menschen nicht folgen können, da sich schriftliche Texte nicht vollständig verstehen könnten. „Unsere Aufgabe ist es, diesen Menschen extra in leichter Sprache für die aktuellen Entwicklungen zu berichten.
„Das geht etwa über Messenger dienste", erklärt Rothkopf. Es sei eine Bereicherung, dass auch in den Medien mit Gebärdensprachdolmetschern gearbeitet werde.
Lautbegleitende Gebärden
Auch wenn Dolmetscher im persönlichen Kontakt Masken tragen, seien die Gebärden für alle, die die Deutsche Gebärdensprache perfekt beherrschen, problemlos zu verstehen.
Besonders die älteren Gehörlosen oder Hörbehinderten, die oral erzogen worden seien, hätten Nachteile, weil sie mit lautbegleitenden Gebärden groß geworden seien.
Visiere hätten sich wegen Spiegelungen und da sie schnell beschlagen nicht immer als hilfreich erwiesen und sind vielerorts nicht mehr zulässig. Und so bleibt das lange Warten auf Normalität.
Quelle: Dürener Nachrichten/ Dürener Zeitung vom 03.01.2021 Sarah Maria Berners Redakteurin
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